Liebe macht die Musik

Textauszug Nummer 1


Das Großraumbüro teilen sich sieben Männer und eine Frau namens Cynthia. Immer zwei elektrisch verstellbare Schreibtische Stirnseite an Stirnseite, sodass man sich beim Arbeiten gegenübersitzt, sich anschauen und auch hervorragend schwatzen und lästern kann. Als Pia eintritt, ist es auch das Erste, was sie mitbekommt: Getratsche. Sie versteht nicht, was am hinteren Tisch geplappert wird, wohl aber, dass es sich dabei um sie handeln muss. Die Blicke, die man ihr schenkt, sind eindeutig, und sie fragt sich zum wiederholten Male, was sie nur verbrochen hat, dass man ihr hier so feindselig begegnet. 

»Ich habe euch Vitamine gebracht. Wenn ihr Lust habt.«

»Gern«, ruft Cynthia. Sie lächelt Pia offen an und scheint dankbar für die Gelegenheit einer Pause zu sein. 

»Darf ich?«, fragt Pia und schaut hinunter zum Kollegen Meyer, auf dessen Tisch sie das Tablett kurz abstellen möchte. 

»Wenn es sein muss?«, brummt der zurück und schaut stur weiter auf seinen Monitor.

»Ich bin gleich wieder weg, versprochen.«

»In Versprechungen ist sie gut«, hört Pia mit einem Mal Herrn Ackermann zu seinem Kollegen Blume flüstern. Die Dreistigkeit, die dieser kleine, fette Kerl, der gerade mal fünf Meter von ihr entfernt sitzt, an den Tag legt, verschlägt Pia die Sprache. Sie konzentriert sich aufs Einschenken, überreicht Cynthia mit erzwungenem Lächeln deren Smoothie, dann hört sie, wie er weiterflüstert:

»Mehr als das kann sie halt nicht.« 

Pia beißt die Zähne zusammen und versucht, ruhig und besonnen zu bleiben. 

Denk an die AI! Denk an HAL 9000 aus 2001: Odyssee im Weltraum. Wie würde sie reagieren?

Pia will sich keine Blöße geben. Sie wird freundlich bleiben und so schnell wie möglich und erhobenen Hauptes den Raum verlassen. Sie richtet sich auf, will gerade auf dem Absatz kehrtmachen, da sieht sie aus den Augenwinkeln heraus, wie Ackermann und sein Kollege tuscheln, dabei schmierig grinsen und immer wieder zu ihr hinüberschauen. Es ist der Moment, in dem es Pia zu viel wird und sie keine Lust mehr darauf hat HAL 9000 zu sein. Contenance hin oder her, aber das geht gerade wirklich zu weit. Sie hat nichts getan, was den Ärger dieser Typen rechtfertigen würde, außer vielleicht, dass sie existiert und ebenfalls Sauerstoff verbraucht und hier einen Job angenommen hat. Pia atmet tief durch, dann geht sie zu den beiden hinüber und baut sich direkt vor deren Tisch auf. Herrn Ackermanns neugierigem und herausforderndem Blick begegnet sie standhaft, dann richtet sie das Wort an ihn:

»Sie haben recht, Herr Ackermann. Ich kann wirklich kaum etwas. Deshalb bin ich auch eingestellt worden. Qualifikation ist in dieser Firma nicht so sehr gefragt. Man muss nur mal die Lebensläufe so mancher Leute hier durchlesen. Bei Ihnen ist das aber natürlich anders. Sie können einiges mehr als ich, das ist allgemein bekannt. Vor allen Dingen können Sie unglaublich stark aus dem Mund riechen. Darin sind Sie ein wahrer Meister. Vielleicht können Sie mir das ja mal bei Gelegenheit beibringen?« Sie zwinkert, und für ein paar Sekunden lang herrscht Totenstille im Raum. Pia nutzt den Überraschungsmoment, dreht sich erhobenen Hauptes um und stolziert mit geschwellter Brust hinaus. HAL 9000 wäre bestimmt stolz auf sie.